In der heutigen Ausgabe der taz schreibt der Gießener Demokratieforscher Samuel Salzborn vom „Klicken als Ersatzhandlung“. In seinem Kommentar stellt er einige Thesen bezüglich Netzdemokratie auf und kommt zu dem Schluss, dass diese der Demokratie unterm Strich schade.

Jetzt kann man sich über so viel Unverständnis und Festhalten an den vorherrschenden Zuständen furchtbar aufregen und die grundsätzliche Frage stellen, was ein Demokratieforscher im Allgemeinen so macht, aber dann hätten wir hier einen Rant der zwar auf viel Gegenliebe stoßen würde, uns aber insgesamt nicht weiter brächte.

Also von vorn: Herr Salzborn sagt, das Internet schade insgesamt der Demokratie. Warum? Weil Leute auf Facebook Dinge anklicken und dann merken, dass nichts passiert, was sie unglaublich frustriert. Moment? Das Internet = Facebook? Ich werde später auf diese steile These eingehen. Dann: Online-Petitionen. Die seien auch ganz schlimm so Salzborn, da sie eine strukturelle Überforderung der Demokratie darstellten.

Kluge Menschen sind klug, dumme Menschen sind dumm

Viel Interessanter ist, den den Kommentar zwei dreimal durchzulesen, dann fällt nämlich auf, dass Salzborn Netzdemokratie und Online-Petitionen gar nicht per se schlecht findet, es geht ihm viel mehr um die dummen Menschen, denn es sei ja richtig, Zitat „dass die hochgebildeten, politisch engagierten und in die öffentlichen Debatten involvierten BürgerInnen durch das Internet dazugewinnen“. Später dann zu Online-Petitionen: „Die Ungebildeten missverstehen dagegen Onlinepetitionen als eine Form von direkter Demokratie, bei der jedeR in scheinbar allmächtiger Omnipotenz das egoistische Eigeninteresse in den politischen Prozess einspeisen kann.“

Ganz abgesehen davon, dass ich mich frage wie Herr Salzborn „Ungebildete“ Menschen definiert und wie er seine Aussagen über diese im Vorfeld seines Kommentars quantifiziert hat, finde ich seine Schlussfolgerungen doch ein Bisschen abenteuerlich.

Facebook ist nicht das Internet, Facebook ist ein Kommunikationskanal im Internet

Das Internet ist so wenig Facebook wie „Die Bunte“ die Deutsche Presselandschaft ist. Facebook ist ein Teil des Internets. Wenn fast 600.000 Menschen die Seite Wir wollen Guttenberg zurück liken (eine nach Meinung Salzborns die persönliche Faulheit fördernde Aktivität), dann bringen sie dadurch zuallererst einmal zum Ausdruck, dass sie Herrn zu Guttenberg gerne zurück hätten. Ich bezweifle ernsthaft, dass ein Großteil der Fans dieser Seite tatsächlich erwartet hat, dass Herr zu Guttenberg durch ihre Meinungsbekundung wieder zurück ins Amt kommt, auch wenn ich das, genauso wenig wie Herr Salzborn, mit Zahlen untermauern kann. Wir gehen auch nicht davon aus, dass ein Artikel der „Bunte“ in der Lage wäre, Herrn zu Guttenberg wieder ins Amt zu bringen.

Mir persönlich ist keine Facebookseite bekannt, deren Fans der Meinung sind, alleine durch die Seite und die Anzahl ihrer Fans lasse sich ein politisches Anliegen durchsetzen. Facebook kann aber, das Zeigt zum Beispiel die Seite KEIN Stuttgart 21 ganz schön, Menschen, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren, weiter über dieses Thema informieren, und zwar sehr niederschwellig. So können über Facebook Demonstrationen organisiert werden (keine die eigene Faulheit fördernde Maßnahme) und alle, die Informationen zu und über S21 haben, können sie auf einer zentralen Seite teilen, ohne die Notwendigkeit eines eigenen Blogs oder tiefergehender Kenntnisse zum Internet.

Facebook ist also Kommunikationskanal und kein Demokratieersatz. Facebook wollte, glaube ich zumindest, auch nie Demokratieersatz sein. Wahrscheinlich fand es Einzug in Herrn Salzborns Kommentar, weil es immer dann symbolisch für die Gefahren des Internets her halten muss, wenn Google grade keinen neuen Dienst startet. Aber die Grundannahme, jemand halte Facebook ernsthaft für eine Möglichkeit an der parlamentarischen Demokratie in Deutschland zu partizipieren, ist meiner Meinung nach vollkommen falsch. Es kommt also auch nicht zu der von Salzborn postulierten Frustration, wenn ich KEIN Stuttgart 21 like. Die kommt übrigens erst wenn ich feststellen muss, dass der neugewählte Ministerpräsident gegen mein Anliegen genau so wenig tun kann wie der alte.

Die Online-Petition als institutionalisiertes Nichts-tun

Oline-Petitionen erweckten, so Salzborn, den Eindruck, man könne Politiker vom Schreibtisch aus Fernsteuern. Tun sie das wirklich? Erst mal finde ich es vollkommen in Ordnung, dass jeder Bürger die Möglichkeit hat, sich beim Online-Petitionssystem des Bundestages anzumelden und dort eine Petition zu veröffentlichen. Den „erfolgreich realisierten Onlinepetitionen“ stünden aber die „große Zahl erfolgloser Versuche wenig informierter BürgerInnen gegenüber, die hoffen, ihre persönlichen Meinungen auf diesem Weg politisch durchsetzen zu können, ohne dafür wirklich etwas tun zu müssen“. Diesen Satz, grade aus der Feder eines Demokratieforschers, muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Abgesehen davon, dass ich nicht weiß, was mit „erfolgreich realisierten Onlinepetitionen“ gemeint ist (mir sind keine bekannt) finde ich es bemerkenswert, dass die Unterstützung einer solchen mit der Unterstellung abqualifiziert wird, man hätte nicht wirklich etwas getan und es gehe ja nur um das durchsetzen der eigenen Interessen.

Eine Petition zu stellen ist ein Recht; dass dies in Deutschland mittlerweile online wahrgenommen werden kann ist ein unglaublicher Fortschritt. Jeder hat das Recht für seine Idee zu werben. Es ist nicht meine oder Herrn Salzborns Aufgabe, die Güte dieser Ideen zu bewerten. Sich aber hinzustellen und zu behaupten, das Online-Petitionssystem des Bundestages (das zwar nicht genannt wird aber um das es anscheinend geht) sorge schlussendlich für mehr Frustration (bei den Dummen) ist schade.

Online-Petitionen scheitern jedoch nicht an ihren Petenten, sondern an der Unfähigkeit der etablierten Politik, diese ernst zu nehmen. Die Vorstellung, dass eine online zustande gekommene Petition weniger wert sei als eine, die mühsam auf der Straße zusammen gesammelt worden ist, herrscht auch noch im Bundestag vor, abgesehen davon, dass Willensbekundungen dieser Art grundsätzlich als eher lästig empfunden werden.

Salzborns Menschenbild

Eigentlich geht es in Salzborns Kommentar, ich deutete es oben schon einmal an, nicht um das Internet und die sich daraus bietenden Partizipationsmöglichkeiten, sondern um sein Kulturpessimistisches Menschenbild. Die Klugen sind klug (aber in der Minderheit), für sie sei das Internet ein großer gewinn. Die Dummen sind dumm (selbstredend in der Mehrheit) und werden durch das Internet nur frustriert, da sie merkten, dass ihnen „die Politiker“ gar nicht zuhören. Negative Auswirkungen auf „den Politiker“ hätte das Internet auch. Sie würden Twittern und Facebooken und halt Online sein, dabei die eigentliche Arbeit vernachlässigen. Salzborn sieht eine Negativspirale: Menschen versuchen sich über das Internet politisch zu artikulieren, werden nicht gehört und vom System frustriert. Fraglich nur, warum sich dann nicht das System ändern muss, sondern der Mensch.

Die Möglichkeiten, die das Internet schon heute im Bezug auf partizipative Demokratie bietet, blendet Salzborn systematisch aus.

Was fehlt

Es ist bezeichnend, dass er weder auf LiquidDemocracy, noch LiquidFeedback oder Adhocracy eingeht. Sie bieten heute schon die Möglichkeit, wenn ernst genommen, große Gruppen in demokratische Prozesse einzubinden. Jeder Nutzer kann sich selbst entscheiden, wie stark er sich einbringen möchte. Vom Schreiben eigener Anträge bis hin zum Delegieren des gesamten Stimmgewichts ist alles möglich.

Mir ist auch nicht klar, wieso Salzborn am jetzigen System hängen bleibt und das Internet als Problem darstellt. Nicht das Internet und seine Partizipationsmöglichkeiten sind ein Problem. Problem ist, dass der etablierte Politikbetrieb bis jetzt nicht den Willen gezeigt hat, die Möglichkeiten des Internets in seine bisherige Arbeit einzubinden. Mangelnder Wille zur Erneuerung ist es dann auch, der Menschen, unabhängig vom Bildungsgrad frustriert. Es wäre Aufgabe von Demokratieforschern wie Salzborn, den theoretischen Unterbau für die Einbindung neuer Partizipationsmöglichkeiten in den etablierten Politikbetrieb zu liefern.

Dass er hierauf nicht kommt mag daran liegen, dass er selbst nicht viel mit dem Internet am Hut hat und es wahrscheinlich nur aus Erzählungen kennt, obwohl er einen Facebook Account zu besitzen scheint. Ein Blick auf seine Webseite legt das zumindest nahe. Darüber kann man sich natürlich lustig machen. Aber es ist eher die Aufgabe derjenigen, die um die Möglichkeiten des Internets wissen, diejenigen, an denen sie bisher spurlos vorbei gezogen zu sein scheinen, zu informieren.