In der gestrigen ARD Doku „Piraten in der Politik – 100 Tage einer Aufsteigerpartei“ wurde unter anderem thematisiert, dass ich ADHS habe. Da ich heute viele Mails mit Fragen bekommen habe, möchte ich an dieser Stelle ein paar Dinge zu ADHS und meinem Outing schreiben.

Vorab: Die Thematisierung geschah in Absprache, das heißt ich wurde hier nicht übers Ohr gehauen. Es war meine bewusste Entscheidung, das Thema ADHS im Rahmen der Doku zur Sprache zu bringen.

Was ist eigentlich ADHS? Hinter den Buchstaben verbirgt sich Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom. Was bedeutet das? Man nimmt die Welt anders wahr. Das ist natürlich eine sehr saloppe Beschreibung, aber das ist ADHS für mich. Eine genaue Beschreibung findet ihr in der Wikipedia.

Durch ADHS habe ich gegenüber Menschen, die kein ADHS haben Vor- und Nachteile. So kann es von Vorteil sein, in einer komplexen Situation viele Details schnell erfassen und zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen fügen zu können. Es kann aber auch einfach nur nerven, wenn man in einem Restaurant sitzt und jedes Gespräch im Raum genau so wahrnimmt, wie das Gespräch mit dem Gegenüber. Leuten, die wissen wollen wie das ist, empfehle ich immer diese Szene aus Sherlock Holmes mit Robert Downey Jr.

Ich habe ADHS mein Leben lang, es wurde bei mir jedoch erst Mitte 2011 diagnostiziert. Ich habe also ADHS im Erwachsenenalter und 27 Jahre normal gelebt. Ich benutze das Wort „normal“ hier sehr bewusst, denn Leben mit ADHS ist mein Normal. Die landläufige Meinung, dass es sich bei ADHS um eine Kinderkrankheit handelt ist falsch. ADHS ist nichts, was auf Schlag mit dem 18. Lebensjahr aufhört, es ist ein Wahrnehmungszustand, der einen das ganze Leben lang begleitet.

Schon bei der Diagnose durch den Neurologen fiel mir auf, dass er sich mir gegenüber so verhielt, als müsste er mir eine schlimme Nachricht überbringen. Mich verwunderte das. Je mehr ich mich mit dem Thema auseinander gesetzt habe, desto deutlicher wurde mir klar, dass Menschen mit ADHS mit Vorurteilen begegnet wird. Aufgrund der Nachteile, die ADHS mit sich bringt, wird unterstellt, an einer furchtbaren Krankheit zu leiden.

Um es ganz klar zu sagen: Ich leide nicht an einer furchtbaren Krankheit. Die Diagnose war für mich ein sehr wichtiger Moment, denn auf einmal konnte ich sehr viele Ereignisse in meiner Biographie erklären. ADHS soll nichts rechtfertigen oder entschuldigen, es hilft mir, mich in der Welt einzuordnen.

Nach der Diagnose machte ich in meinem Bekanntenkreis und auf Twitter kein Geheimnis daraus, dass ich ADHS habe. Im Gegenteil, ich gehe sehr offen damit um. Ich möchte das Bewusstsein und die Akzeptanz für einen Zustand schaffen, mit dem ca. 2-5% der erwachsenen Bevölkerung leben.

Ich nehme Methylphenidat. Dies ist der Name eines Präparates, welches einem breiteren Publikum unter dem Handelsnamen „Ritalin“ bekannt geworden ist. Allerdings gibt es Generika diverser Firmen. Wichtig ist: Ich nehme Methylphenidat wegen und nicht gegen ADHS. Ich empfinde es als großes Glück, 27 Jahre normal gelebt zu haben und durch das Medikament für 2,5 Stunden oder länger in eine Welt eintauchen zu können, die mir vorher verschlossen war. Ich bin gelassener und es macht meinen Alltag, insbesondere im Umgang mit anderen Menschen, einfacher. Das bedeutet nicht, dass ich ohne das Medikament nicht mehr klarkommen würde. Die Einnahme von Methylphenidat ist ein bewusster Akt und ein Zugeständnis an eine Gesellschaft, in der 95% der Menschen eben kein ADHS haben.

Mit meinem Schritt in die Öffentlichkeit möchte ich andere ADHSler dazu bewegen, mutig, selbstbewusst und offen mit diesem Zustand umzugehen. Vor allem möchte ich, dass in der öffentlichen Diskussion die Vorteile von ADHS in den Vordergrund rücken. Nichtlineares, asynchrones Denken ist eine Bereicherung für alle. ADHS im Erwachsenenalter ist ein wichtiges Thema. Ich bin wegen, nicht trotz ADHS so wie ich bin.

Ich habe ADHS – und das ist auch gut so.