tl;dr: Wenn sich das von ARD und ZDF mit 45 Millionen Euro ausgestattete „Content-Netzwerk“ „funk“ mit Google und Youtube zusammen tun, dann werden einem zuerst 1.000,- Euro für den Auftritt in einer Sendung zugesagt und eine Woche später dann halt nicht mehr.
Vor gut zwei Wochen erhielt ich eine Email-Anfrage eines „Producers“ von Studio 71, einem sogenannten „Multi-Channel-Netzwerk für Webvideocontent“, also einer Produktionsfirma für Internet-Videos.
Man Plane zum Wahlabend die Live-Show „WahlWG’17“, gemeinsam mit „funk“, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF und YouTube/Google.
Mit dabei seien „große Namen“ aus dem eigenen „Künstlernetzwerk“ und aus dem von funk und das ganze hätte eine extreme Reichweite, weil sowohl YouTube als auch funk große „Mediapakete“ bereitstellten. Das ganze würde von Google/YouTube und funk „massiv beworben“ werden.
Jetzt bräuchte man halt noch junge Politiker, die in der Wahl WG mit abhängen wollen würden und da hätte man an mich gedacht, ich könnte mir ja mal das angehängte Konzept angucken, man würde sich freuen wenn ich vorbei komme.
Dieses Konzept, eine elfseitige Powerpoint Präsentation des gesamten Formates, wurde – so vermute ich – mal irgendwann erstellt, um die ganze Idee bei irgendeiner Verantwortlichen Person von funk zu pitchen, wie es so schön heißt. Beim Lesen staunte ich nicht schlecht, denn ich war schon Bestandteil der Sendung. Auf der „Die Gäste“ Folie konnte man sich „je nach Verfügbarkeit“ unter anderem mich als einen von drei Politik-Gästen „vorstellen“, natürlich mit Foto. Eine Folie später, bei den „Show-Segmenten“ wurde dann noch „Kalauer mit C. Lauer“ vorgestellt, ganz frei von Konjunktiven und etwaigen Verfügbarkeiten. „Kalauer mit C. Lauer“ sollte so laufen, dass ich am Wahlabend durchs Willy-Brandt-Haus laufe und Genossinnen und Genossen Sparwitze erzähle, um sie „wieder aufzumuntern“ denn die Produktion geht davon aus, dass die SPD die Wahl verliert. Das ganze sollte ich, so ganz jung und hip, mit meinem Telefon streamen.
Über Anfragen für Vorträge und Podiumsdiskussionen, sowie Medienanfragen freue ich mich natürlich immer. Noch mehr freue ich mich, wenn grade bei längeren Geschichten die Vorbereitung erfordern eine Aufwandsentschädigung/Honorar gezahlt wird. Das ist auch im öffentlich/rechtlichen üblich. So erhielt ich für meinen Auftritt bei „Maischberger“ im Februar diesen Jahres zum Beispiel 500,- Euro. Also fragte ich den Producer, was die Produktion denn zahlen würde. Daraufhin bekam ich den üblichen Vortrag, dass die Produktion eine öffentlich/rechtliche sei und das Budget äußerst beschränkt, ich aber „Reichweite“ bekäme und mit anderen „Jung-Politikern Influencern und Co. diskutieren o.ä.“ könne. Weiterhin wollte der Producer wissen, was ich mir so vorstellen würde. Hierauf antwortete ich, dass ich „Reichweite“ nicht essen kann und er mir doch einfach ein Angebot machen soll, das ich nicht ausschlagen kann.
Nach „Rücksprache mit Konzeption und Produktion“ erhielt ich dann folgendes Angebot: Ich solle ca. eine Stunde der 3-4 stündigen Sendung im Studio in Berlin Adlershof sein, weiterhin sei noch das Format „Kalauer mit C. Lauer“ geplant. Dafür würde es 1.000,- Euro geben. Nach vier Tagen wurde ich vom Producer nochmal freundlich gefragt, ob ich jetzt kommen würde oder nicht. Hierauf fragte ich, ob die 1.000,- Euro das letzte Wort seien und mit oder ohne Mehrwertsteuer und dass ich gerne in die Sendung komme, aber „Kalauer mit C. Lauer“ auf keinen Fall mache. Daraufhin hörte ich wiederum eine Woche lang nichts vom Producer. Heute dann, auf eine Nachfrage meinerseits wie es jetzt aussieht, erhielt ich dann die Nachricht, dass nach „Rücksprache mit Redaktion und funk“ „leider kein Geld“ gezahlt werden könne. Dies sei eine „Grundsatzentscheidung“. Man würde sich aber „natürlich freuen“, wenn ich dennoch Lust hätte, als Gast in der Sendung aufzutreten. Hierauf sagte ich dann aus Gründen der Selbstachtung ab.
Jetzt muss man dazu sagen, dass funk auf seiner eigenen Webseite darüber informiert, jährlich 45 Millionen Euro von ARD und ZDF zu erhalten. Nach Aussage des Netzwerkes „eine Menge Geld“. Oh Lordy ist das eine Menge Geld, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Content-Netzwerk für YouTube Produziert und, ohne das genau zu wissen, die Produktionskosten für YouTube-Videos jetzt vermutlich nicht so hoch sind wie zum Beispiel für eine Folge „Wetten, dass.. ?“. 45 Millionen Euro, damit könnte man die Gewaltschutzambulanz an der Charité 45 Jahre lang betreiben, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. 45 Millionen Euro sind auf den Wochentag gerechnet 123.287,67 Euro also deutlich mehr, als die meisten Menschen im Jahr verdienen. Würde man die 45 Millionen auf alle 53 auf der Webseite von funk vorgestellten Formate gleichmäßig verteilen, dann könnte jede dieser Produktionen täglich 2326,18 Euro an die Wand schmeißen, was noch immer viel Geld ist und leider mehr, als viele Leute im Monat verdienen. Zum Vergleich: Die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, als Bestandteil der Legislative, als Zusammenschluss gewählter Volksvertreter, bekam in der Legislaturperiode 2011-2016 jährlich 1,2 Millionen Euro, von denen Infrastruktur und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezahlt wurden. Hätten wir mal YouTube-Videos gemacht. Die 45 Millionen Euro sind halt vor allem Gebührengelder, also Mittel die jede und jeder der ein Empfangsgerät besitzt, entrichten muss. Und ich finde es gut, dass das es den öffentlich rechtlichen Rundfunk gibt, auch wenn mich manchmal schmerzt, wofür er seine Kohle raushaut, denn nicht nur bei funk wird das Geld rausgeschmissen, sondern vor allem auch bei den Sport- und Fußballrechten. Aber ich schweife ab.
Also: Es ist dem 45 Millionen Euro Gebührengelder Content-Netzwerk, das gemeinsam mit Google, das 2016 90,27 Milliarden US-Dollar Umsatz machte, nicht möglich, für den Auftritt in einer Sendung 1.000,- Euro Aufwandsentschädigung zu zahlen, die sie vorher selbst vorgeschlagen und zugesagt hatten. Und das bei einem Format, das in seinem Konzept von der Produktionsfirma mit meiner Teilnahme beworben wurde. Selbstverständlich ohne dass ich davon wusste oder mich damit einverstanden erklärt gehabt hätte. Aber so funktioniert das wohl in einer Welt, in der mit „Reichweite“ gezahlt wird, bei der dann jeder selbst gucken muss, wie man sie monetarisiert.